WiYou 05/2013 - Forum Berufsstart - page 53

Maaama!
Ich mag kleine Kinder. Die aus der eigenen Familie ja sowieso. Die von Freunden auch. Die fremden meistens.
Wirklich. Ich finde sie putzig, niedlich, zuweilen äußert unterhaltsam, nur ganz selten ein bisschen nervig – und
komme in der Regel auch gut mit ihnen aus. Ein nach Augenmaß ungefähr Vierjähriger arbeitet nun gerade hart­
näckig daran, das zu ändern. Warum? Keine Ahnung, es hätte alles so schön sein können. Genau genommen war
es das bis eben auch noch, für mich und meine kleine Mädelsrunde hier im Café zum planmäßig gemütlichen
Immer­wieder­sonntags­Brunch.
Die Kellnerin bringt gerade unsere zweite Runde koffeinhaltige Heißgetränke mit extra Sahne, als der kleine Wicht
das erste Mal etwas unangenehm auf­, weil rennend direkt der Tablettträgerin vor den Füßen hinfiel. Sie stolpert,
woraufhin sich der für mich gedachte Cappuccino aus der Tasse auf direktem Weg über meine Tasche begibt.
Hektisches Gewusel. Eine kurz überforderte Servicekraft. Und Auftritt der Aufsichtsperson: Eine junge Frau mit
Handy. Sie nimmt tippend am Nebentisch Platz: „Karli, was machst´n du? Komm her!“ Ja los Karli, geh zu Mama.
Karli rappelt sich auf und folgt. Na immerhin.
Ein paar Servietten später ist mein Hab und Gut halbwegs gerettet und die Welt dank Ersatzgetränk wieder eini­
germaßen in Ordnung. Das Kann­ja­mal­passieren war noch nicht zu Ende gedacht, als „Mama! Mama! Maaama!“
Karli wieder die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Eine Stimme mit Potenzial, viel Potenzial. „Maaama!“ scheint das
nur leider völlig kalt zu lassen, mehr als „Hmm, gleich“ bekommt er nicht. „Mama! Maaama!“ Erstaunlich, wie
schnell so etwas einem Kind nicht zu langweilig wird. „Mama! Maaama!“ „Ja warte.“ „Maaama!“ Ich möchte das
langsam nicht mehr hören. Karli ist das egal: „Maaama!“ Man gewöhnt sich da auch nicht dran, kann ich – nach
unzähligen „Maaamas“ in beeindruckend gleichbleibend sonorer Tonlage – feststellen. Um uns herum wird es in­
zwischen merklich leerer. Wir sind aber noch nicht bereit, das reichhaltige Büffet aufzugeben und trotzen dem
Nervensägen tapfer. „Mama! Mama! Maaama!“ Die strafenden Blicke der übrig gebliebenen Gäste ignoriert die
Handymutter genauso gekonnt wie ihren Schreihals. „Mama guck!“ Tut sie nicht. Sie tippt. Noch traut sich keiner,
etwas zu sagen, man murmelt nur unzufrieden. Ist ja schließlich ein Kind, und wer möchte sich schon als Sonn­
tagsspießer outen. „Maaama!“ Ich beginne, ernsthaft zu möchten.
„Mama! Mama! Was ess ich?“ Karli springt auf, flitzt los. „Ja warte!“ Er kommt zurück. „Mama, ich will auch!“ Oh,
Karli hat einfach Hunger. In mir will sich leichtes Mitgefühl regen, als sich die Hand des kleinen Unruhstifters flink
an unseren Brötchenkorb bedient und geschickt nach dem letzten Croissant angelt. Okay Kleiner, jetzt wird’s kri­
tisch. Die Kellnerin scheint den Ernst der Lage als Erste zu begreifen, treibt Karli samt Beute zurück zu „Maaama!“,
füllt unser Körbchen wieder auf und versichert, dass das nicht auf die Rechnung käme. Das wäre ja noch schöner,
aber gut, Karli scheint still kauend besänftigt zu sein, also sind wir es auch.
Ein paar Minuten später, auf dem Weg zur Kuchentheke, passiere ich rege Diskussionen verschiedener
Erziehungsmethoden und Früher­wäre­das­Geschichten, hin und wieder garniert mit einem: „Der Kleine kann ja
eigentlich nichts dafür.“ Hmm, stimmt, er ist ja noch ein kleines Kind. Eines, das gerade auf mich zustürmt. Und er
schreit gar nicht mehr. Er lacht. Hey, irgendwie ist er ja auch ganz trollig. Ich gehe in die Knie und versuch es mit
einem „Na du“ als Friedensangebot. Er kommt näher, schmiert die speichelweichen Reste seines dreist ergaunerten
Frühstücks am Ärmel meiner Strickjacke ab und plärrt unüberhörbar: „Du bist aber nicht mein Freund.“ Danke, ei­
gentlich mochte ich kleine Kinder.
Schussi, eure Mamu
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